Moderne Autos sind ein Problem für Rettungskräfte
Automobile werden immer sicherer – und trotzdem passieren weiter schwere Unfälle, wenn sich sorglose Fahrer all zu sehr auf ihre Systeme verlassen. Gefährlich wird der hohe Sicherheits-Standard, wenn Helfer bei der Bergung von Verletzten mit ihrem Gerät an Grenzen stoßen, wie jetzt eine Übung an einem nagelneuen BMW X5 zeigte.
Den Aktiven blutete das Herz: Vor ihnen stand ein fabrikneuer BMW X5 F 15 aus einer nicht für den Verkauf bestimmten Nullserie mit einem Basiswert von gut 50.000 Euro, auf dessen außergewöhnliches Schicksal nur einige aufgekritzelte Hinweise für den Zoll hindeuteten. Mutwillig sollte er mit einem Bagger von der nahen BRK-Baustelle deformiert und anschließend zwei Tage lang mit diversen Rettungsgeräten bearbeitet werden.
Alte Rettungssätze mit moderner Technik überfordert
Die Sicherheitssysteme in modernen Autos stellen die Rettungskräfte vor große Probleme. Deutlich wurde dies bei einer Spezial-Übung der Pegnitzer Feuerwehr an einem vom Autobauer zur Verfügung gestellten neuwertigen BMW X5 F15. Scheiben können kaum mehr eingeschlagen werden, die Kunststoff-Karosserie lässt sich kaum mehr verformen und der Seitenaufprallschutz bringen die herkömmlichen Rettungsscheren an ihre Grenzen. Kurzum: Die vorgeschriebene Rettungsfrist ist kaum mehr einzuhalten.
Die Idee zu dieser Übung der besonderen Art hatten die Kommandanten Roland Zahn und Timo Pohl, unterstützt von Felix Lindner und Walter Steger die den BMW bei München abholten. Sie schrieben unerschrocken einen Brief an die BMW-Zentrale, ob die Firma nicht ein neues Modell zu Ausbildungszwecken zur Verfügung stellen könne, weil man bei den vielen Einsätzen auf der Autobahn immer öfter an die Grenzen der technischen Möglichkeiten stoße.
Was kaum jemand zu hoffen gewagt hatte, trat ein: Schon eine Woche später kam die Mitteilung, dass ein SUV der neuesten Generation in München abholbereit sei. Einige Tage später stand der Geländewagen dann schon am Feuerwehrhaus in Pegnitz. Den Kommandanten nötigte dies Respekt ab. Sie dankten BMW ganz offiziell für diese außergewöhnliche und keineswegs alltägliche Übungsmöglichkeit.
Roland Zahn erklärte den Hintergrund: Früher war es nach Unfällen meist kein größeres Problem, Verletzte aus den “Blechkisten” zu retten. Da wurden ganz einfach die Türen abgezwickt, die Holme mit den Scheren durchgeschnitten und das Dach abgetrennt, oder so ähnlich. Heute schützen “Active Protection”-Sicherheitspakete die Insassen besser, erschweren aber die Arbeit der Feuerwehr. Bei drohenden Unfallsituationen löst das System eine Reihe von Funktionen aus, wie die Gurtstraffung für Fahrer und Beifahrer, das Schließen der Fenster und — falls vorhanden — des Schiebedachs.
Damit beginnen die Probleme für die Helfer: Der BMW X5 ist mit über zwei Tonnen so schwer, dass er selbst von zehn Feuerwehrleuten mit einem “Hebebaum” nicht bewegt werden kann. Mit Spreizern musste er mühsam von der Betonwand gerückt werden, um überhaupt an die Fahrertür zu gelangen. Selbst mit schwersten Vorschlaghämmern gelang es nicht, die Scheiben einzuschlagen, was natürlich bei einer realen Rettung nie praktiziert würde. Kunststoffkomponenten erschwerten den Zugang zu Türscharnieren, weil sich die formstabile Karosserie nicht mehr wie früher das Blech verbiegen lässt.
Schweres Gerät einfach auf Verdacht irgendwo anzusetzen, ist höchst gefährlich, weil überall Elektrik oder Gasdruckbehälter für die zahlreichen Airbags verbaut sind. Standardisierte Rettungskarten helfen wegen der vielen Modellvarianten nicht viel weiter. Die Rettungsleitstellen können aber inzwischen über das Kennzeichen die Fahrzeugdaten abrufen und direkt den Feuerwehren an die Unfallstelle übermitteln.
Rettungsscheren schneiden Türholme nicht
Das größte Problem sind bei modernen Fahrzeugen die Türholme und die -säulen, die so stabil konstruiert sind, dass sie etwa die in Pegnitz zur Verfügung stehenden Rettungsscheren überfordern. Erst im dritten Anlauf gelang es unter Aufwendung der letzten Kraftreserven, den mehrfach geschichteten Spezialstahl zu durchtrennen. Im Ernstfall behilft man sich mit einem Trick, den Florian Thüroff von der Nürnberger Berufsfeuerwehr mitgebracht hat: Beim Absprengen des Dachs mit Hilfe von Rettungszylindern ist aber die Lärmentwicklung so enorm, dass man einen unmittelbar daneben sitzenden Verletzten vorher eigentlich narkotisieren müsste.
Nach zwei Nachmittagen war der BMW so zerlegt, dass eine optimale Versorgung von eingeklemmten Insassen möglich gewesen wäre. Für Zahn und Pohl hat die Übung aber deutlich aufgezeigt, dass die in Pegnitz zur Verfügung stehenden Rettungssätze mit einem Alter von elf und 20 Jahren den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind.
Immer schwieriger sei es, die Rettungszeit von einer Stunde einzuhalten, nach der ein Verletzter spätestens in einer Klinik versorgt werden sollte. Zahn und Pohl unisono: “Die Stadt wird über kurz oder lang nicht am Kauf moderner, leistungsfähigerer Systeme vorbeikommen.” Zum Vergleich: Die Kosten dafür liegen mit schätzungsweise 50.000 Euro pro Einheit genauso hoch wie der Wert des aktuell zur Verfügung gestellten Versuchsfahrzeugs.
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